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Der kaputte Krug

Der kaputte Krug

Frei nach Dulce Rodriges

Es war einmal eine alte chinesische Frau.  Sie musste sich jeden Tag Wasser aus einem Fluss holen.  Auf ihren Schultern ruhte ein schwerer Holzstab, an dem rechts und links je ein großer Wasserkrug befestigt war.

Einer der Krüge hatte einen Sprung. Wenn sie am Ende ihres langen Weges vom Fluss nach Hause kam, war in diesem Krug nur noch die Hälfte des Wassers enthalten. Der zweite Krug aber war prall gefüllt.

Der perfekte der beiden Krüge war natürlich sehr stolz darauf, daß die alte Frau in ihm immer eine volle Ladung transportieren konnte. 

Der Krug mit dem Sprung hingegen schämte sich, daß er immer Wasser verlor. Er fühlte sich nutzlos und unvollkommen.

Zwei Jahre lang geschah dies täglich. Die alte Frau brachte immer nur eineinhalb Krüge Wasser nach Hause. 

Die Scham des defekten Kruges war nun so groß geworden, daß er zu der alten Frau sagte: 

„Ich schäme mich so. Es tut mir sehr leid, bitte verzeih mir.“

„Was soll ich verzeihen? Wofür schämst Du dich?“ bantwortete die alte Frau überrascht.

„Ich schäme mich dafür, daß ich nicht ganz bin. Ständig tropft das Wasser weg und ich bin nur noch halb voll, wenn Du zu Hause ankommst. Ich denke, es ist besser, wenn Du mich durch einen neuen Krug ersetzt."

„Oh“, sagte die alte Frau mit einem wohlwollenden Lächeln, „das ist gar nicht nötig. Du bist in Ordnung, so wie du bist. Wenn wir nachher vom Fluss zurückkommen, wirst Du verstehen, warum.“

Bei dem Gedanken, er sei in Ordnung, schämte sich der kaputte Krug nun noch mehr.

Nachdem die alte Frau die Krüge am Fluss gefüllt hatte und sie den Heimweg antrat, sagte sie zu dem kaputten Krug: "Ist dir aufgefallen, daß auf deiner Seite des Weges Blumen blühen, aber auf der Seite des anderen Kruges nicht?

Ich habe auf deiner Seite Blumensamen gesät, weil ich mir deines Sprungs bewusst war. Nun gießt du sie jeden Tag, wenn wir nach Hause laufen.

Zwei Jahre lang konnte ich schon diesen herrlichen Duft genießen und manche wunderschönen Blumen pflücken und den Tisch damit schmücken. Wenn du nicht genauso wärst, wie du bist, würde diese Schönheit nicht existieren und mein Haus beehren“.

Jeder von uns hat seine eigenen „Fehler“. Oftmals sind aber unsere vermeintlichen Fehler und Schwächen für andere eine Bereicherung, da sie diese gar nicht als Fehler wahrnehmen sondern als Spiegel, bei sich selbst etwas zu verändern. 

Lieber Leser, nehmen Sie sich so, wie Sie sind und nehmen Sie das Gute und steigerungsfähige in sich selbst und in den anderen wahr. Und Sie werden sehen, wie die sich Welt verändert!